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Kommunale Daseinsvorsorge:

„MVV hat verstanden“ – Stadtwerke Kiel gerettet?

Die Ratsversammlung am 16.9.2010 begann u.a. mit einer Bürgeranfrage des Bündnis Kielwasser. Da Fragen von Organisationen nicht zugelassen sind, fragte Veronika G. die Verwaltung zu den Absichten der Mannheimer Energieversorger AG (MVV) und den Möglichkeiten der Stadt Kiel sich gegen das weitere Ausschlachten der Stadtwerke zu wehren. Konkretes über die Absichten der MVV wurde nicht genannt. Dies bleibt das Geheimnis der Aufsichtsräte. Aber es geht angeblich um steuerungsrelevante Funktionen, die aus Kiel abgezogen werden sollen, um den Gesamtkonzern MVV für den Wettbewerb auf dem Energiemarkt zu stärken. Es ist von einem Arbeitsplatzabbau von insgesamt 533 Beschäftigten die Rede, davon ca. 170 Beschäftigte in Kiel.

Die Frage nach dem Auslaufen der geheimen Verträge brachte immerhin eine Kleinigkeit hervor: Der Konsortialvertrag läuft 2024 aus und muss dann neu mit der MVV verhandelt werden, bzw. über das, was dann von den Stadtwerken noch übrig geblieben ist. Das der Konzessionvertrag über die Nutzung der Netze 2016 ausläuft, ist schon länger bekannt. Bis dahin kann die Stadt entscheiden, ob sie die Netze zurückkauft. Eine Nachfrage zur Wasserversorgung ergab dann, dass auch diese 2016 zur Neuverhandlung ansteht. Und noch eine weitere Neuigkeit kam in einer Sendung des Schleswig-Holstein-Magazins bereits am 3.9. heraus, in der der geheime Konsortialvertrag vor der Kamera öffentlich durchgeblättert wurde: Alle Beschlüsse, die die Aufgaben der Stadtwerke betreffen, sind mit 70% zustimmungspflichtig. Da die MVV-Vertreter nur mit 66% im Aufsichtsrat sitzen, können sie normalerweise keine eigenmächtigen Interessen durchsetzen.

In der Praxis sah das in den letzten Jahren allerdings anders aus, denn der Aufsichtsrat hat mit den Stimmen des Betriebsrates und den damaligen beiden Ratsvertretern aus CDU und SPD den Entlassungen und der Ausgliederung im Servicebereich und dem Aus-
schlachten von Teilen des Betriebes zugestimmt. Hintergrund war der verschärfte Rationalisierungsdruck des MVV-Konzerns und die Hoffnung, dass wenn es dem Konzern gut gehe, es auch für den langfristigen Erhalt der Arbeitsplätze gut sei (Wir berichteten in der LinX 24/2006). Nach der Übernahme der Stadtwerke durch die MVV werden 480 Arbeitsplätze (bis 2010) abgebaut. 161 Mitarbeiter wurden nach dem Geschäftsbericht der MVV im letzten Jahr (2009) mit Abfindungen in die Altersteilzeitregelung geschickt. Begründungen für den Arbeitsplatzabbau waren u.a. das Festhalten der MVV-Aktionäre und auch der Stadt Kiel an den Dividendener- wartungen. Aber auch das Kürzen der Netznutzungsgebühren (Vorgabe durch die Bundesnetzagentur) und die sogenannte Anreizregulierung (ebenfalls Maßgaben der Bundesnetzagentur) um den Wettbewerb im Energiesektor zu  verschärfen, wurden als Gründe angeführt. Die Gewinner der Anreizregulierung waren wie bisher auch immer die großen Energiekonzerne. Die MVV will sich da nicht abhängen lassen und sie sehen sich als Fünfter gleich hinter den vier großen Energiekonzernen, die die deutsche Energielandschaft unter sich aufgeteilt haben. MVV hofft auf weiteren Zukauf aus den 800 kommunalen Stadtwerken, die dem Konkurrenzdruck nicht standhalten können oder wegen zunehmender Verschuldung ihr Tafelsilber verkaufen und damit willenlos die Daseinsvorsorge in die private Hand geben.

Es war eigentlich klar, dass es bei dem bisherigen Abbau der Kieler Stadtwerke nicht bleiben würde. Und jetzt ist das Gezeter auf der Ratsversammlung groß. Alle Parteienvertreter tun so, als hätten sie von dem in den letzten Jahren betriebenen Ausschlachten der Stadtwerke nichts gehört. Beschwört wird immer noch die  angeb- lich gute kommunale Zusammenarbeit mit dem MVV-Konzern, der sich immer wieder als der kommunaler Dienstleister darstellt. Aber selbst die Stadt Mannheim hat weitere Anteile an ihren Stadtwerken verkauft und hält gerade noch 50,1% (indirekte Aktien) Anteile (die restlichen Anteile der MVV Energie AG: 16,3%  Rhein- Energie AG, 15.1% EnBW AG, 18,5% Streubesitz). Von einer rein kommunalen Zusammenarbeit kann keine Rede sein. Bei der MVV Aktiengesellschaft geht es nur um die Marktanteile und den Erhalt der Dividende und die konnte seit 2004 stetig gesteigert werden.

Trotzdem ist es zu begrüßen, dass es auf der Ratsversammlung am 16.9.2010 einen weiteren Beschluss aller Parteien zum „Erhalt der strategischen Selbstständigkeit der Stadtwerke Kiel“ gegeben hat. Die Ratsversammlung wurde begleitet von ca. 40 anwesenden Stadtwerke-MitarbeiterInnen, die sich samt Betriebsrat und Vorstand über den Beschluss freuten, aber z. T. auch skeptisch waren, ob der Einfluss der Ratsversammlung auf die Verhandlungen mit der MVV erfolgreich sein wird. Die SPD sprach von „Verhinderung des Ausblutens der Stadtwerke“, von „rechtlichen Möglichkeiten“ und verbreitete Illusionen über eine „Zusammenarbeit mit der MVV auf Augenhöhe“ um Vorteile und Synergien gemeinsam zu nutzen. Die CDU sprach vom gemeinsamen Handeln um sich auf den Wettbewerb einzustellen, womit auch weitere Entlassungen bei den Stadtwerken drin sind. Die Grünen fanden neue Wachstumsfelder bei den erneuerbaren Energien und bei der Fernwärme, wohl im Zusammenhang mit dem neuen Energiekonzept der Stadt Kiel um die Verringerung des CO2-Ausstoßes und gemeinsames Stoppen der Atomkraft. Dabei erwähnte Lutz Oschmann immerhin das Auslaufen des Konzessionsvertrages und beabsichtigt den Rückkauf der Energieanlagen durch die Stadt. Allein die LINKE setzte sich für die Daseinsvorsorge in kommunaler Hand ein, um die Stadtwerke als den kommunalen Dienstleister zu erhalten. Die Fraktion Mehr Demokratie versuchte Solidarität mit den Stadtwerkern mit einem erhobenen Daumen zu zeigen, denn den BesucherInnen war das Applaudieren untersagt worden. Aber es brachte außer einer witzigen Einlage keine Lösung von der Umklammerung durch die MVV. Das neue Aufsichtsratsmitglied Bürgermeister Albig versuchte MVV und Stadtwerke als „kommunales Projekt“ im „Wettbewerb gegen die Großen“ zu beschwören („Wir wollen kein kleines RWE!“). Er forderte, dass MVV sich an den Konsortialvertrag halten muss, während er gleichzeitig verschwieg, was da denn eigentlich Interessantes drin steht.

Das die Stadt Kiel schon mal einen SPD-Bürgermeister hatte, dem wir die Privatisierung der Stadtwerke zu verdanken haben, weil er einen texanischen Energiekonzern als einen geeigneten Partner für die Stadt sah, sollten wir nicht vergessen. Eines steht wohl fest: Nur die Entschlossenheit der verbliebenen Stadtwerkemitarbeiter und eine klare Entscheidung des Betriebsrats, der Vertrauensleute und der Gewerkschaft ver.di für eine kommunale Zukunft ohne den MVV-Konzern, kann eine Lösung bringen und zwar nicht erst 2024, wenn der Konsortialvertrag ausläuft. Wenn in 12 Jahren nichts mehr zu retten ist und die Stadtwerke neu aufgebaut oder gegründet werden müssen, wird das sehr viel teurer. Ein Rückkauf kann durchaus mit dem Nichteinhalten des Konsortialvertrages begründet werden. Zu prüfen wäre z. B. ob der Konzern jemals eine Dividende für die Stadt Kiel abgeführt hat. Im städtischen Haushalt findet sich seit Jahren nur die Konzessionsabgabe. Oder steht im Konsortialvertrag etwa, dass MVV keine Dividende zu zahlen braucht?

Wenn man den bereits stark dezimierten Wert der Stadtwerke und den Abzug von Aufgaben, Werkstätten und Immobilien betrachtet, dürfte der Rückkaufswert stark gesunken sein. Gerade auch in Zusammenhang mit dem 2016 möglichen Rückkauf der Netze (Strom, Gas, Wasser und Fernwärme) und den notwendigen Investitionen im Rahmen des umweltfreundlichen Energie-
konzeptes der Stadt Kiel sollte hier besser über den Rückkauf des gesamten Betriebes nachgedacht werden. Möglicherweise auch um Ausschreibungspflichten nach EU-Richtlinien durch Rekommunalisierung zuvor zu kommen. Bei der Aufnahme eines Kredites dürfte es für die Stadt Kiel kein Problem geben, denn die Stadtwerke sind ein rentierlicher Betrieb. Ob die Rendite bei der Bank landet oder wie bisher beim MVV-Konzern, kommt auf gleiche raus. Bei der Bank kann die Stadt aber aus den Einnahmen zurückzahlen. Konzerne wollen vor allem wachsen und Gewinne machen. Lebenswichtige Aufgaben wie Energie und Wasser brauchen aber nachhaltige demokratische und kommunale Kontrolle.

(uws)



 
 
 

GRAFIK: Ausgewählte direkte und indirekte Beteiligungen der MVV Energie AG



 

Strategische Selbstständigkeit der Stadtwerke Kiel AG sichern

Antrag: Die Ratsversammlung fordert die Verwaltungsspitze und die Mitglieder des Konsortialausschusses und des Aufsichtsrates der Stadtwerke Kiel AG auf, in den nun anstehenden Verhandlungen mit MVV die nachstehenden Eckpunkte durchzusetzen.

Aus Sicht der Ratsversammlung Kiel ist das Konzept „Einmal gemeinsam“ nur zustimmungsfähig, wenn

1. keine steuerungsrelevanten Funktionen aus der Stadtwerke Kiel AG abgezogen und nach Mannheim verlagert werden,

2. die Prozesse so gestaltet werden, dass die Steuerung der Stadtwerke Kiel AG auch weiterhin durch den Kieler Vorstand erfolgt,

3. für die Bündelung und Zentralisierung von Aufgaben lediglich Massenprozesse herangezogen werden,

4. bei der Bündelung und Zentralisierung von Aufgaben eine quantitativ und qualitativ ausgewogene Aufteilung der Arbeitsplätze auf die drei Standorte Kiel, Offenbach und Mannheim erfolgt,

5. der Einfluss der Stadtwerke Kiel AG auf Kosten und Servicequalität in gemeinsamen Serviceunternehmen auch durch eine angemessene Eigentümerposition und konsortialvertragliche Regelung sichergestellt wird.

Einstimmiger Beschluss der Kieler Ratsversammlung am 16.9.2010